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orgens um 6.00 Uhr wecken mich die Vögel, nein eigentlich nur einer. Er klingt (die Ornithologen mögen mir verzeihen ) als würde man eine rostige Eisenstange in ein ebenso rostiges Gewinde schrauben. Okay, gewonnen – ich steh auf …
Leider müssen wir feststellen, dass der Scheiß-Frosch seinen Job nicht gemacht hat und wir – trotz Peaceful Sleep und Moskito Netz – nicht nur von den Moskitos getracked, sondern auch kräftig gestochen wurden.
Nach einem schnellen Frühstück geht es um 7.00 Uhr weiter, Richtung Kidepo Nationalpark. Nach einer halben Stunde hält Willi, um einzukaufen. Denn im Kidepo kriegt man weder Lebensmittel noch kann man essen gehen (Außer man ist Gast auf der Nobel Lodge) Offenbar kann man in dem kleinen Restaurant bei den Bandas (kleine Hütten für Touristen) etwas abgeben, das dann zubereitet wird. Willi hält vor einer „Quality Butchery“ und fragt, ob wir Fleisch essen.
Bevor ich mich von meinen Schock erholt habe (hier hängt das Fleisch im Straßenstaub, ohne Kühlung dafür mit genügend Fliegen) sagt mein Teilzeit-Urlaubsvegetarier: „YES!“ und ich erkenne zwei riesige Steaks in seinen Pupillen… Offenbar hab ich keine Chance.
Wir fahren weiter und kommen zu einer Brücke, die über einen kleinen Fluß führt. Sieht schön aus – doch Willi muss erst die Soldaten fragen, ob wir fotografieren dürfen. Während der Chef knipst unterhalte ich mich mit einem Soldaten und frage, weshalb die Brücke denn bewacht würde: „wegen der Rebellen, hier im Norden!“… Hrggggsssss… Welche Rebellen??? „Oh die aus dem Sudan, aus dem Kongo und manchmal welche aus Somalia…“ Der Soldat sieht meinen offensichtlich verstörten Blick, meint aber, ich könne mich beruhigen, DIE BRÜCKE sei sicher… na dann….
Wir fahren weiter und nach Gulu. Ab da verwandelt sich die Straße von einer Pad in eine Kraterlandschaft. Doch der Unterschied zu Namibia ist, dass hier Fahrradfahrer mit Bananen-Clustern, Möbeln, Bast, oder beladen mit bis zu 5 Personen fahren, Fußgänger mit und ohne Getier bzw. Kinder rumlaufen – alle auf dem „befahrbaren Teilstück“. Willi fährt so schnell wie möglich. Wie schnell wissen wir nicht, der Tacho ist ja hinüber. Er rast auf alles Bewegliche zu und hupt es von der Straße. Ich kann gar nicht hinschauen, denn irgendwann erwischt er bestimmt jemanden. Oft kann er aber auch nur Schritttempo fahren, auch nicht wirklich beruhigend bei noch knapp 300 km bis zum Kidepo NP.
In einem der Dörfer halten wir, weil Willi hier ein Handy-Netz vermutet. Er befielt uns im Auto zu warten. Is klar! Nach 6 Stunden ohne Pause … Das kann er knicken! Wir sind mitten im ehemaligen Kony-Gebiet. Hier hat dieser Geisteskranke bis vor wenigen Jahren noch sein Unwesen getrieben. In Uganda ist das Thema „Kony“ übrigens noch sehr präsent. In einer Tageszeitung wurde auf 4 großen Seiten ausführlich über Konys angebliche Flucht nach Darfur berichtet. Auch die Ugander sprechen uns später immer wieder auf Kony an, wenn wir sagen, dass wir im Norden waren. Auch Willi scheint sich offenbar hier nicht wohl zu fühlen, denn er hat uns morgens noch ausführlich von abgeschnittenen Nasen und anderen Greultaten erzählt, für die Kony die Verantwortung trägt. Und er schaut sich ständig um, als ob ihn jemand verfolgt.
Die Dörfer sehen wohl daher deutlich ärmer aus, die Hütten sind weniger bunt. Es gibt Schilder, die vor Landminen warnen und auch welche die auf Kony-Traumata Hilfen hinweisen. Insgesamt ist es sehr beklemmend – allein dass man merkt, wie sehr diese Leute hier gelitten haben. Der Krieg – für uns Europäer eher ein abstraktes Thema – wird hier sehr gegenwärtig. Allerdings habe ich mich keine Minute bedroht gefühlt.
Ich frage ein paar Leute ob ich fotografieren darf. Ja gerne! Sie scheinen sich sehr über Touristen zu freuen – Willi freut sich weniger. Wenn Blicke töten könnten, dann hätte uns Willi nun erlegt.
Als wir weiter fahren sehen wir das erste Fahrzeug mit UN Blauhelmen. Chris und ich wechseln kurz einen Blick: Ob die Idee mit dem Norden so gut war? Hmmm… da müssen wir jetzt wohl durch.
Willi kennt den Weg nicht und hat keine Karte. Chris´ Karte lehnt er mit einem kräftigen „NO!“ ab. Wobei das nichts ausmacht, denn Chris hat inzwischen Map und beide Reiseführer zu Rate gezogen – auf jeder Karte sieht es anders aus. Die Pad wird noch schlechter und es fängt an zu regnen um uns herum versinkt die Landschaft im Nebel.
Da naht Hilfe in Form des eines Straßenschildes (des ersten, das wir in Uganda sehen!). 64 km bis zum Kidepo. Juhu! Der Landi rutscht durch den Matsch bis wir an eine Kreuzung kommen. Links ist der Weg grauenvoll, rechts fürchterlich. Feine Wahl! Zumal kein Straßenschild mehr auftaucht.
Zur Beruhigung meint Willi „Where are we? I have no idea which way to go…“
Willi wählt den rechten Weg (jetzt wissen wir, es wäre der Linke gewesen).
Offenbar hat Willi eine Eingebung, meint „wrong“ und wendet im Schlamm. Die erste Idee war gut – die zweite weniger. Denn nun stecken wir fest. Willi lässt den Motor aufheulen, der Landi lässt sich davon nicht beeindrucken… im Gegenteil: irgendwann hat er auch keinen Bock mehr auf Willi und geht aus… und nicht wieder an. Es regnet wie Sau, der Schlamm nimmt zu und Willi würgt am Motor rum. Handyempfang haben wir auch nicht. Chris schlägt vor, die 7 km zum ausgeschilderten Medical Center zu gehen. Willi meint „No!“. Ich schlage vor, mich an die Wegkreuzung zu stellen, um gegebenenfalls ein Auto herbeizuwinken, falls eines kommt. Willi meint „No!“
Irgendwie ist das eine beschissene Situation: selbst wenn die Karre wieder anspringt, stecken wir im Matsch – selbst wenn wir das Auto rausschieben können, geht der Motor nicht an. Und wie war das? Gab es hier nicht auch diverse Rebellen???
Die nächste Stunde verbringen wir damit, dass Willi am Zündschloss rumwürgt, Chris ab und zu einen Vorschlag macht und ich Tagebuch schreibe (falls es mal in 1000 Jahren Ausgrabungen gibt, will ich wenigstens einen Platz im Museum)
Dann kommen Menschen! Wir sind völlig begeistert – Willi weniger. Er duckt sich in seinem Sitz und fragt: „What People?“ Er will Alter, Anzahl etc. wissen. Cooles Ding! Selbst wenn es Rebellen sein sollten – will er etwa den Turbogang einlegen und davonbrausen?
Es sind sechs Bauern, die Willi gleich zum Schieben verdonnert. Wir steigen aus. Willi meint „No!“ Doch! Wir schieben mit, nix bewegt sich. Es kommen immer mehr Leute. Schließlich sind es 15 Einheimische und zwei Mzungus (der Swahili-Ausdruck für "Weiße"), die den Karren - im wahrsten Sinnen des Wortes - aus dem Dreck ziehen. Mein Flipflops sind mit Füßen und Matsch zu einem dicken Klumpen zusammengewachsen… aber egal. Durch die Bewegung (oder wasauchimmer) ist der Motor wieder angesprungen. "WIR"... zahlen ein fettes Trinkgeld und es kann weiter gehen.
Die Euphorie hält nicht lange an. Der letzte Weg zum Kidepo führt über einen steilen Berg. Hinauf röhrt und rutsch der Landi. Hinunter ist es eine Katastrophe. Unten am Berg steht ein Polizeiauto, das sich gerade aus dem Schlamm befreien will. Wir rutschen solange bis der Landi quer steht und genau in dieser Haltung auf das Polizeiauto den Hang runterrutscht. Cool! Dann brauchen wir bei diesem Unfall die Polizei wenigstens nicht mehr zu rufen… Zum Glück (oder Willi sei Dank!) bekommt er die Karre wieder in den Griff und wir rutschen vorbei. Dann kommen wir zum Entrance Gate vom Kidepo Nationalpark.
Es ist inzwischen halb acht und mein Magen hängt auf den Knien. Also nicht ganz, denn seit einiger Zeit rieche ich etwas Fürchterliches. Der Gestank wird immer penetranter… DAS FLEISCH! Seit über 12 Stunden ungekühlt in einer Plastiktüte im Auto….Lekker!
Die Fahrt durch den Kidepo lässt unsere Laune wieder ansteigen. Wir sehen einen Elefanten, Zebras, Wasserböcke… in Windeseile an uns vorbeiziehen. Denn Willi rast durch den Park und will auch hier nicht zum Fotografieren anhalten. Da wir etwas am Ende sind, reicht auch die Kraft nicht mehr für einen effektiven Protest.
Bei der Banda angekommen, verteilen wir den Matsch sogleich in selbiger. Aber wir sind zu müde, als das uns noch was stören könnte. Mein letzter Wille ist, nichts von diesem Fleisch essen zu müssen. Auch Chris erinnert sich spontan wieder an seine „lange Tradition als Vegetarier“ und will das stinkende Zeug nicht.
Das wiederum macht Willi aber ziemlich stinkig! Wir einigen uns auf Nudeln mit Gemüsesauce und fallen anschließend totmüde in unsere Betten.
Wir stehen früh auf, denn heute ist der Morning Drive. Begleitet werden wir von Daniel einem Ranger (Juhu, dann wird Willi wenigstens nicht mit Top Speed durch den Park heizen). Leider ist im Kidepo noch Regenzeit, das heißt wir haben alle Arten an Wetter.
Recht schnell sehen wir einen ganzen Haufen Geier, die sich um einen toten Elefanten scharen. Chris entdeckt mittendrin eine Hyäne, die sich noch die letzten Reste der Mahlzeit sichert. Daniel lässt uns recht nah heranfahren und durch das offene Dach des Landis schauen wir begeistert zu. Offenbar gibt es recht wenige Hyänen im Kidepo und Daniel ist völlig aus dem Häuschen! Es stinkt ein wenig – aber das ist ja zu erwarten. Irgendwie kommt uns der Geruch bekannt vor...
Als ich mich hinsetzte wird der Gestank penetranter. Ich stecke den Kopf wieder raus, besser. Wie kann denn ein toter Elefant IM Auto mehr stinken als DRAUSSEN? ….OH NEIN! Das Fleisch!!! Willi leugnet es noch im Auto zu haben, aber meine Nase sagt was anderes…
Wir strecken also bei der Weiterfahrt die Köpfe aus dem Dach. Besser so, draußen riecht es nach Gras. Der Kidepo NP ist landschaftlich wirklich wunderschön. Umgeben von den Bergen des Südsudan, Ugandas und Kenyas breitet sich eine traumhafte Landschaft aus. Wir sehen Büffel, Zebras, Jackson’s Hartebeests, Warthogs, Oribis und Elefanten. In den Bergen entdecken wir eine Löwin, etwas weiter entfernt den dazugehörigen Gatten.
Daniel erzählt uns sehr viel über Fauna und Flora des Parks und die Zeit vergeht wie im Flug!
Nachmittags haben wir weniger Glück mit den Tieren. Außer diesen fiesen lästigen Riesenfliegen (wie sich später herausstellt waren es Tsetsefliegen), die sich weder von Repellent noch Kleidung abhalten lassen. Sie stürmen zu hunderten ins Auto, beißen und lassen sich nicht ermorden. Nicht dass man sie nicht erwischen würde... diese Viecher sind einfach zäh! Willi ist inzwischen mehr damit beschäftigt Fliegen zu jagen, als sich auf den Weg zu konzentrieren. Tja, man muss eben Schwerpunkte setzen – auch als Driver...
Ansonsten steht durch die Regenzeit das Gras recht hoch. Im Kidepo besteht auch immer die Möglichkeit dass die einige Tiere in den Südsudan oder nach Kenya abwandern, man kann also mehr oder weniger Glück haben. Trotzdem fanden wir den Park sehr spannend, zumal wir zeitweise die einzigen Touristen dort waren.
Unterkunft:
Die Bandas im Kidepo sind sehr basic: 2 Betten, keine Sitzmöglichkeiten, kein Strom, kalte Dusche. Durch offene Ornamente im Badezimmer, betrachten die Moskitos das als Einladung und feiern im Bad Party! Der Party Snack sind offenbar wir – zumindest sind wir um einige Mückenstiche reicher.
Das „Restaurant“ verkauft (lauwarme!) Getränke, man kann sich mitgebrachtes Essen zubereiten lassen. Okay ich geb zu das Wort „Restaurant“ ist eine sehr euphemistische Umschreibung für eine ziemlich heruntergekommenes Gebäude mit diversen Lagern für irgendwas. Hinten gibt es eine Art Terrasse mit Plastikstühlen in diversen Verfallstadien.
Fazit Kidepo:
Ich würde den Park nie wieder in der Regenzeit besuchen. Die Anfahrt ist definitiv spaßfrei – Tiersichtungen sind (abgesehen von Zebras, Büffeln und Wasserböcken) ungewiss. Der Park „besitzt hinsichtlich größerer Säugetiere das größte Artenspektrum aller Nationalparks in Uganda“ (Reise know how). Aber die Populationsdichte ist relativ gering. Bis vor kurzem durfte im Südsudan noch gejagt werden. Das erklärt wohl einiges. In der Trockenzeit sind die Tiere wohl recht konzentriert im Valley zwischen den Flüssen Narus und Kidepo anzutreffen.