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s ist warm – sehr warm, fast 30 Grad - als wir uns Jeans, dicke Wanderschuhe und warme Pullover überziehen, die Winterjacken über den Arm werfen und mit unseren zum Bersten gepackten Koffern Richtung S-Bahn gehen. Irgendwie können wir es nicht glauben, dass es in Island so kühl sein soll, oder besser gesagt, wir können es uns bei den momentanen Temperaturen nicht vorstellen.
Zum Glück klappt das Kofferabgeben am Flughafen Stuttgart hervorragend (sprich, keiner wiegt das Handgepäck) und wir können unseren späten Flug ohne Probleme antreten. Der Flieger ist fast leer und wir haben unfassbar viel Platz.
Nach knapp vier Stunden landen wir in Reykjavik, bzw. in Keflavik – und ab diesem Moment ist der beschauliche Teil der Reise zu Ende: Denn kaum haben wir den Flieger verlassen, wird es voll. Unglaublich voll. Der kleine Flughafen ist einfach nicht auf diese Massen an Touristen angelegt. Wir hatten einiges erwartet, aber das nicht! Zum Glück kommen wir ohne Passkontrolle in der Ankunftszone des Flughafens an. Jetzt müssen wir nur noch.... ach, Du Schande... wir sehen in einen Schilderwald mit Namen, Reiseagenturen, Autovermietungen ... nur nicht unseren Autovermieter... Angeblich sollte uns doch jemand abholen?!
Und jetzt? Wir schwärmen aus. Einer nach rechts - einer nach links. Dumme Idee... Nach über einer Stunde Suchen (nicht nur das Procar Schild sondern auch uns gegenseitig), mehreren Fragen bei der Info, dem Austausch mit anderen ratlosen (und ebenfalls wartenden) Touristen und einem Anruf bei der Autovermietung, entdecken wir den Mann von Procar (ohne Schild, aber mit Emblem auf der Jacke). Chris stürmt los und erhält die Auskunft, der Shuttle sei voll. Mit Glück beim nächsten Mal... das heißt, wieder 20 Minuten warten... Als wir endlich mitgenommen werden, bekommen wir die erste Ahnung von den isländischen Temperaturen. Boah ey, nicht kalt sondern schweinekalt! Aber immerhin klappt die Autoübergabe reibungslos. Und wir sind ca. 45 min später in Reykjavik in unserem Guesthouse Villa.
Die Nacht ist sternenklar. Und das bedeutet Nordlichter. Zumindest für Chris. Auf einmal sind ihm Uhrzeit und Müdigkeit egal. Er zieht sich seine Mütze auf, schnappt sich die Kamera und jagt nachts um 3 Uhr Nordlichter... Bitte, aber ohne mich.
Das Zimmer im Guesthouse Villa ist klein, aber nett und sauber. Die Rezeption ist nicht rund um die Uhr besetzt. Dafür kann man jederzeit (telefonisch) jemanden über die Gegensprechanlage erreichen. Wir wurden dann in der Nacht persönlich begrüßt und kurz eingeführt. Kurz heiß: "Das ist Euer Zimmer. Da ist die Gegensprechanlage. Ihr könnt mich jederzeit anrufen." Sein Gesicht sagt zwar eher: "Untersteht Euch, mich anzurufen", aber gegebenenfalls würden wir das ignorieren.
Die Lage unserer Unterkunft ist genial! Wir wohnen etwas unterhalb der Kirche "Hallgrimskirkja" (die übrigens das Wahrzeichen von Islands Hauptstadt ist). Die Architektur dieser Kirche ist wirklich außergewöhnlich. Kaum zu glauben, dass sie schon 1937 entworfen wurde. Der Staatsarchitekt Guðjón Samúelsson strebte so etwas wie einen eigenen, isländischen Stil an. Jedenfalls sollte das Design sowohl an die zerklüfteten Berge und Gletscher wie an die großen, kargen Weiten Islands erinnern. Natürlich war nicht jeder von solch einer modernen Interpretation begeistert, aber immerhin konnte 1945 mit dem Bau begonnen werden. 1992 wurde die "Hallgrimskirkja" eingeweiht.
Die Kirche wird unsere erste Sehenswürdigkeit in Reykjavik. Mögen sich die Geister auch scheiden - wir sind fasziniert vom Baustil dieses außergewöhnlichen Gotteshauses. Ich liebe Städte von oben. Deshalb heißt es, nix wie rauf auf den 73 m hohen Turm. Zum Glück gibt es einen Fahrstuhl! Von oben hat man einen genialen Ausblick über ganz Reykjavík.
Anschließend schlendern wir bibbernd - aber immerhin bei Sonnenschein - durch die Stadt. Und sind begeistert: hier ist alles bunt, nordisch und wuselig...und insgesamt sehr kuschelig.
Die Harpa, das neue Konzerthaus und mittlerweile Touristenmagnet von Reykjavik, ist einfach genial! Von der Fassade begeistert, können wir uns kaum vorstellen, dass es innen fast noch beeindruckender ist, als außen. Zum Glück hat Chris den Wunsch, nicht nur ein paar Fotos vom Bauwerk zu machen, sondern auch rein zu gehen.
Harpa - das Konzert- und Konferenzhaus in Reykjavík, das im Jahr 2011 neueröffnete Opern- und Konzerthaus
Im Foyer bekommen wir den Mund nicht mehr zu. Es ist ein Traum! Beeindruckt gehen wir auf jede Ebene und bestaunen die jeweils eigene, einzigartige Faszination mit jeweils immer neuen Ein- und Ausblicken. Denn durch das einfallenden Sonnenstrahlen ergeben sich im gesamten Foyer ständig veränderte Lichteindrücke. Völlig zu Recht wurde die Harpa im Jahr 2013 zu Recht mit dem Mies van der Rohe Preis für Architektur ausgezeichnet.
Anschließend geht es über den alten Hafen bis zu Reykjaviks Haupteinkaufsstraße Laugavegur - mit den vielen Bars, Restaurants und Cafés zugleich die Ausgehmeile von Islands Hauptstadt.
Inzwischen ist es warm. Okay.... fast warm, ganz ohne Jacke geht es nicht. Nun gönnen wir uns eine Pause im Straßencafé. "Boah, geht's noch?" Der Blick in die Speisekarte lässt unser (grade ein wenig erwärmtes) Blut wieder zu Eis gefrieren: Die Preise sind gesalzen! Natürlich haben wir damit kalkuliert, dass Island teuer ist. Aber als fette 10 Euro für ein Bier schwarz auf weiß im Menue stehen, sind wir dann doch erschrocken. Aber Bier(probieren) gehört einfach dazu. Wir diskutieren anstandshalber ca. 2 Minuten, ob die Preise auch nur irgendwie zu rechtfertigen sind. Beschließen "auf gar keinen Fall" und dann probiere ich ein „Thule“ und Chris ein „Viking“. Der Spruch „Trink langsam - jeder Schluck ein Euro“ wird uns allerdings für den Rest des Urlaubs erhalten bleiben.
Chris will unbedingt zum Wikinger Boot, dass er im Reiseführer entdeckt hat. Dummerweise steht aber nicht genau drin, wo das Ding sein soll. Als wir - nach vielem Suchen und Durchfragen - das Stahlgerippe endlich erreichen, ist die Enttäuschung groß. Wesentlich besser gefällt uns der See Tjörnin mit den historischen Bauten und dem alten Parlamentsgebäude.
Der Tjörnin, auch Reykjavíkurtjörn genannt, ist ein flacher See in Reykjavik und soll einer der bekanntesten in Island und einer der saubersten Seen weltweit sein. Gut letzteres ist schwer beweisbar – aber immerhin bietet er eine Heimat für viele verschiedene Vogelarten (angeblich mehr als 40 – aber da Island ein Land der Superlative ist, lass ich das jetzt mal unkommentiert). Rund um den See gibt es jede Menge Sehenswürdigkeiten, wie das Rathaus von Reykjavik, die Kathedrale, Universität und mehrere große Museen, darunter das Nationalmuseum von Island.
Langsam plagt uns der Hunger. Jetzt begeben wir uns auf die Suche nach einem Restaurant, dass isländische Speisen anbietet, keinen Wal auf der Speisekarte hat, nicht zu touristisch ist und nicht auf einmal unsere gesamte Urlaubskasse verschlingt. Wir werden fündig: Das Restaurant „Fish Restaurant“ am Hafen macht einen guten Eindruck und hält, was es verspricht. Wir müssen uns zwar anstellen und direkt das Essen bezahlen, aber das ist uns egal.
Mein „Plokkari“, ein traditioneller Fischauflauf mit Kartoffeln und Zwiebeln, ist lecker (ob er immer so schmecken soll, weiß ich nicht, ist ja mein erster) und auch Chris’ Fischsuppe ist gut. Es wäre auch fast für isländische Verhältnisse günstig, wenn wir nicht der Versuchung erlegen wären, zwei Bier zu nehmen...